Insekten

Das Verschwinden der Alltagsinsekten: Vom Verlust zurück zur Vielfalt

Der Kleine Fuchs – einst ein Schmetterling, „den früher jedes Kind kannte“ – steht exemplarisch für das Verschwinden ehemals häufiger Arten. In niederen Lagen, gab es kaum noch Sichtungen. Die Art zieht sich zunehmend in höher gelegene Regionen zurück und wurde 2024 als eine der drei am seltensten gemeldeten Arten bei der NRW-Schmetterlingszählung registriert. Diese Entwicklung betrifft nicht nur eh schon seltene Arten, sondern auch solche, die früher in großer Zahl anzutreffen waren.

Ökologische und wirtschaftliche Bedeutung

Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten einen beispiellosen Verlust seiner Insektenwelt erlebt. Drei Viertel aller Fluginsekten sind im Verlauf von nicht einmal dreißig Jahren verschwunden. Diese schockierende Zahl aus der wegweisenden Krefelder Studie bedeutet konkret: In nur 27 Jahren nahm die Gesamtmasse der gezählten Insekten um 76 Prozent ab. Besonders alarmierend: In den letzten 35 Jahren sind bereits 70 bis 80 Prozent aller Fluginsekten verschwunden.

Insekten erfüllen eine Vielzahl ökologischer Funktionen:

  1. Als Bestäuber: sichern sie die Fortpflanzung von Pflanzen 80 Prozent der Wildpflanzen sind abhängig von der Insektenbestäubung. In Europa sind etwa 150 verschiedene Nutzpflanzen und rund 80 Prozent der Wildpflanzen abhängig von der Bestäubung durch Insekten.
  2. Als Nahrungsgrundlage: ernähren sie andere Arten 60 Prozent der heimischen Vögel ernähren sich hauptsächlich von Insekten. Fütternde Mauersegler-Brutpaare sammeln pro Tag über 20.000 Insekten für ihre Kleintiere. Die Nahrung von Süßwasser-Speisefischen wie Forelle oder Lachs besteht bis zu 90 Prozent aus Insekten und Insektenlarven.
  3. Als Zersetzer: schließen sie Nährstoffkreisläufe Sie schaffen tierische Exkremente fort, verringern die Zahl von Krankheitserregern und verbessern die Bodenqualität. Mikroorganismen und Insekten spielen eine wichtige Rolle bei der Zersetzung von organischem Material und tragen zur Rückführung von Nährstoffen in den Boden bei.

Schmetterlinge und Wildbienen: Sichtbare Boten des Verschwindens

Bei den Schmetterlingen ist die Situation besonders dramatisch. 60 Schmetterlingsarten sind ausgestorben, knapp 500 vom Aussterben bedroht, beziehungsweise stark gefährdet. 39 Prozent von mehr als 120 Arten sind allein im gut dokumentierten Donautal verschwunden, die Hälfte davon allein in den vergangenen 20 Jahren. Der Silberfleckbläuling, früher auf den Sandheiden der Oberrheinebene häufiger zu finden, hat inzwischen nur noch zwei bekannte Vorkommen mit ganz wenigen Exemplaren.

Lesen Sie auch

Die Situation bei den Wildbienen ist nicht weniger bedrohlich. Ähnlich prekär steht es um die Zottige Felsenbiene, von der die Rote Liste nur noch sieben Fundorte verzeichnet. Von den 560 in Deutschland vorkommenden Wildbienenarten gelten 289 (über 50 Prozent) der Arten in Deutschland als ausgestorben oder bestandsgefährdet.

Naturgarten

Heimische Wildpflanzen und natürliche Strukturen wie Totholz, Stein- oder Sandflächen fördern die Artenvielfalt

Überraschende Wiederentdeckungen

Nicht alle Nachrichten sind düster: Alfkens Zwergsandbiene galt rund 80 Jahre lang als verschollen, wurde das letzte Mal in Hamburg im Jahr 1941 gesichtet und konnte 2024 in Wilhelmsburg wieder nachgewiesen werden. In Bayern wurde 2025 der Auen-Fliegenjäger wiederentdeckt, eine Grabwespenart, die zuletzt 1921 in Bayern gesichtet wurde.

Käfer: Giganten in Gefahr

Auch bei den Käfern gibt es dramatische Verluste. Heldbock (Cerambyx cerdo), der größte heimische Käfer, war in Bayern seit rund 70 Jahren nur noch in einem einzigen Eichenwaldstück zu finden. In Thüringen ist die Art bereits komplett ausgestorben.

Ermutigend sind jedoch Wiederentdeckungen wie die des Glänzendschwarzen Furchenstirn-Prachtkäfers (Aphanisticus emarginatus) im Berliner Grunewald 2024 – eine Art, die seit über einem Jahrhundert als verschwunden galt.

Heldbock

Totgeglaubt, doch wiedergefunden: In einem Eichenwald bei Schweinfurt wurde 2023 eine Heldbock-Larve entdeckt – ein kleiner Sensationsfund, denn der Käfer gilt in Bayern als fast ausgestorben.

Bestandsanalyse nach Roten Listen

Die aktuellen Roten Listen des Bundesamts für Naturschutz dokumentieren die Gefährdungssituation präzise. Von 14.000 untersuchten Insektenarten sind über 4.600 Arten (29,6 Prozent) in ihrem Bestand gefährdet. Diese werden in die Kategorien „Vom Aussterben bedroht“, „Stark gefährdet“, „Gefährdet“ oder „Gefährdung unbekannten Ausmaßes“ eingestuft. Bei der Analyse der langfristigen Bestandstrends von 6.921 Insektenarten zeigt sich, dass 45 Prozent einen rückläufigen Trend aufweisen. Besonders betroffen sind Köcherfliegen mit 96 Prozent rückläufiger Arten, Tagfalter mit 64 Prozent und Ameisen mit 60 Prozent. Nur zwei Prozent der untersuchten Arten zeigen eine langfristige Zunahme. (Quelle: BfN)

Köcherfliege

Köcherfliegenlarven leben in selbstgebauten Schutzhüllen aus Pflanzenresten und Steinchen – gut getarnt und vielseitig: Manche filtern Algen, andere jagen Kleintiere im Wasser

Bedrohte Art Gefährdungsstatus Raupen- bzw. Larvenfutter Nektar-/Pollenpflanzen für die erwachsenen Tiere
Kleiner Fuchs (Aglais urticae) Rückläufig Große Brennnessel (Urtica dioica) Kuckucks-Lichtnelke (Silene flos-cuculi), Wiesen-Flockenblume (Centaurea jacea), Acker-Kratzdistel (Cirsium arvense)
Silberfleckbläuling (Plebejus argus) Stark gefährdet Gewöhnlicher Hornklee (Lotus corniculatus) Skabiosen-Flockenblume (Centaurea scabiosa), Kleiner Wiesenknopf (Sanguisorba minor)
Esparsetten-Widderchen (Zygaena carniolica) Vorwarnliste Esparsette (Onobrychis viciifolia), Hornklee Margerite (Leucanthemum vulgare), Glockenblumen (Campanula spp.)
Heldbock (Cerambyx cerdo) Vom Aussterben bedroht Altholz der Stiel- und Traubeneiche (Quercus robur, Q. petraea) Saftfluss alter Eichen, Fallobst von Apfel und Birne
Rossmistkäfer (Geotrupes stercorarius) Stark gefährdet – (Larven entwickeln sich im Dung von Weidetieren) Doldenblütler wie Wilde Möhre (Daucus carota)
Kirschprachtkäfer (Anthaxia candens) Stark gefährdet Absterbende Äste von Süß- und Sauerkirsche (Prunus avium, P. cerasus) Weißdorn (Crataegus monogyna), Schlehe (Prunus spinosa)

Empfehlenswerte heimische Blühpflanzen für Garten und Balkon

Die Auswahl deckt Früh-, Sommer- und Herbstblüher ab, sodass ein kontinuierliches Angebot an Nektar und Pollen entsteht.
Frühjahrsblüher:

Salweide

Männliche Salweiden sind für Wildbienen besonders wertvoll: Ihre pelzigen Kätzchen liefern früh im Jahr reichlich Pollen – eine wichtige Eiweißquelle für den Insektennachwuchs

Sommerblüher:

  • Gewöhnlicher Hornklee (Lotus corniculatus)
  • Wiesen-Flockenblume (Centaurea jacea)
  • Wiesen-Margarete (Leucanthemum vulgare)

Herbstblüher:

  • Herbst-Aster (Aster amellus) – heimische Kalk-Aster
  • Rainfarn (Tanacetum vulgare)
  • Efeu (Hedera helix) – spätblühende Nektarquelle für Wildbienen und Schwebfliegen

Tipp

Belassen Sie kleine Brennnessel-Ecken an vollsonnigen Stellen. Sie sichern dem Kleinen Fuchs, dem Admiral und dem Tagpfauenauge ihres Raupenfutter.

Brennnessel

Die Raupen des Tagpfauenauges leben gesellig an Brennnesseln. Dort finden sie Nahrung und Schutz, bevor sie sich verpuppen

Hauptursachen des Rückgangs

Landwirtschaftliche Intensivierung als Haupttreiber

Eine neue Studie zeigt, dass sich die landwirtschaftliche Nutzung noch gravierender auf die Insektenvielfalt auswirkt als bisher angenommen. In Proben aus landwirtschaftlich genutzten Flächen ergab sich ein Rückgang von bis zu 44 Prozent in der Artenvielfalt in Agrarflächen. Zusätzlich konnte ein Verlust von fast 30 Prozent in der evolutionären Diversität nachgewiesen werden.

Die Kombination aus Klimawandel und intensiver Landwirtschaft hat einen besonders zerstörerischen Effekt auf viele Insektenpopulationen. In den am stärksten betroffenen Regionen haben sie zusammen bereits für einen Rückgang der Zahl der Insekten um fast 50 Prozent gesorgt – verglichen mit weitgehend natürlichen, bisher kaum von Erwärmung betroffenen Lebensräumen. Die Vielfalt der Insektenarten ist dort um rund 30 Prozent zurückgegangen.

Weitere Einflussfaktoren

Klimawandel, Lichtverschmutzung, Stickstoffeinträge durch Düngung und invasive Arten tragen ebenfalls zum Insektenrückgang bei. Sogar in Naturschutzgebieten nimmt die Insektenvielfalt ab, da eingeschleppte Ackergifte und andere Faktoren auch diese Schutzräume beeinträchtigen.

Folgen für Landwirtschaft und Ernährungssicherheit

Landwirte spüren bereits die Folgen des Insektensterbens. In den großen Anbaugebieten Nordamerikas bestäuben Insekten mittlerweile Apfel-, Heidelbeer- und Kirschblüten nicht mehr ausreichend, was die Ernten merklich schrumpfen lässt. Je weniger Insekten über die Obstwiesen flogen, desto weniger Früchte wuchsen an Bäumen und Sträuchern.

Bei Äpfeln und Kirschen sind im Schnitt rund zwei Drittel des Ertrags der Bestäubung durch Tiere zu verdanken, beim Kürbis sogar 95 Prozent. Ein schlagartiger Wegfall aller Bestäuber würde zu Ernteausfällen führen und die Preise würden steigen. Die Kosten würden die Verbraucher tragen.

Handbestäubung

Wenn Bestäuber fehlen, helfen Menschen nach – etwa mit Pinseln zur Handbestäubung von Obstblüten. Aufwändig, aber oft die letzte Rettung für die Ernte.

Pflege- und Gestaltungshinweise

  • Ungefüllte Blüten wählen – gefüllte Zuchtformen liefern kaum Pollen oder Nektar.
  • Staffelmahd statt Flächenmähen: Teilstücke der Wiese erst nach der Blüte abräumen, damit Samen ausreifen können.
  • Totholz erhalten – insbesondere alte Eichen oder Obstbäume bieten Brutplätze für Prachtkäfer und Heldbock.
  • Auf Chemie verzichten: Keine synthetischen Insektizide oder Herbizide einsetzen; sie gefährden sowohl Larven als auch erwachsene Insekten.
Bilder: Michael Meijer / stock.adobe.com